An den Schweifen robuster Pferde auf die stolze Länge von über 80 cm bis sogar 130 cm angewachsen, danach gereinigt, sortiert, gebündelt und auf die richtige Länge geschnitten bildet das Bogenhaar einen wesentlichen Bestandteil des Streichbogens.
Es stellt den direkten Kontakt zwischen Bogen und Instrument her. Das am häufigsten verwendete Bogenhaar kommt aus der Mongolei oder China und ist von hellgelber, fast weißer Färbung. Chemisch gebleichtes Haar ist für die Verwendung im Bogenbau nicht geeignet. Es ist spröde und würde dadurch zu schnell reißen. Man bevorzugt Schweifhaar von Hengsten, da dessen Struktur, anders als bei Stutenhaar, nicht vom Urin angegriffen wird.
Betrachtet man das Pferdehaar unter einem Mikroskop, so besteht es aus einem Kern, der von kleinen "Schüppchen” umgeben ist. Ist der Bogen in Gebrauch, so reißen diese Schüppchen mit der Zeit ab und das Haar "greift” nicht mehr so gut in die Saite, sodass der Bezug ausgewechselt werden muss.
Ein Bezug für einen Violinbogen besteht heute aus ca. 170 Haaren. Diese Zahlen sind Richtwerte und werden vom Bogenmachermeister je nach Stärke der zur Verfügung stehenden Haare variiert. Beim Geigenbezug entspricht die Anzahl von 170 Haaren einem Gewicht von ca. 5,6g. Während bei manchen Bogenmachermeistern, vorwiegend im sächsischen Musikwinkel, die Bogenhaare gezählt werden, nutzen andere Werkstätten Präzisionswaagen, mit denen die Bezugstärke bestimmt wird.
Wesentlich für die Gebrauchseigenschaften des Bogens ist es, die richtige Bezugstärke auf den Bogen abzustimmen. Feste Stangen vertragen einen etwas dickeren Bezug als weichere. Ist der Bezug jedoch zu stark gewählt, kann es beim Spielen zu unerwünschten Nebengeräuschen kommen. Es liegen dann zu viele Haare übereinander, sodass an der Kontaktstelle zur Saite, durch Verschiebungen der Haare im Bund, Rauscheffekte auftreten. Ein zu dünner Bezug kann der Kraft der Stange nicht lange standhalten, wodurch sich die Haare zu schnell ausdehnen.
Ein Problem bei der Verarbeitung des Naturproduktes Haar liegt in der Längenänderung des Materials bei Witterungseinflüssen. Rosshaar findet nicht ohne Grund Verwendung im Hygrometer, einem Messgerät zur Bestimmung der Luftfeuchtigkeit. Bei hoher Luftfeuchtigkeit dehnt sich das Haar aus, wodurch der Zeiger des Messgerätes seine Stellung ändert. Diese Eigenschaft, in diesem Bereich nutzbringend eingesetzt, wirkt sich im Bogenbau jedoch negativ aus. Wird ein Bogen im Frühjahr, also gegen Ende der mit trockener Raumluft verbundenen Heizperiode, korrekt bezogen, werden die Haare kurze Zeit später, mit steigender Luftfeuchtigkeit, zu lang. Umgekehrt wird ein bei schwülem Sommerwetter erneuerter Bezug bei "normaler” Witterung zu kurz sein. Dieser Umstand verlangt vom Bogenmacher viel Fingerspitzengefühl bei der Wahl der Länge des Bezuges.
Um die Haare jedoch überhaupt an der Saite haften zu lassen, benötigt der Musiker noch das so genannte Kolophonium, mit dem er den Bezug bestreicht. Dieses Kolophonium wird aus verschiedenen Baumharzen und Beimengungen hergestellt und in verschiedenen Farbschattierungen, von bernsteinfarben bis fast schwarz angeboten. In engen Grenzen kann Kolophonium den Klang des Instrumentes beeinflussen. (Mehr zum Thema finden Sie hier: Das Kolophonium)
In meiner Werkstatt verwenden wir hochwertige Haare mit einer ursprünglichen Länge von mehr als 100 cm. Die im unteren Schwanzbereich befindlichen Haare werden zunehmend dünner und es befinden sich unter Ihnen auch bereits sehr viele kurze. Die Nutzung äußert Langer Haare gibt mir die Möglichkeit, im fertigen Bezug nur die besten Abschnitte dieses hochwertigen Materials zu verwenden.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf das Prinzip der Tonerzeugung eingehen. Der schwedische Physiker Anders Askenfelt hat sich intensiv mit diesem Thema befasst und seine Ergebnisse anlässlich eines Symposiums zum Thema "Der Streichbogen” in einem bisher leider unveröffentlichten Vortrag dargestellt.
Sein Grundgedanke besteht darin, dass die Schwingungsperiode in 2 Phasen unterteilt wird. In der ersten Phase haftet der Bogen an der Saite, "nimmt sie mit” und erreicht somit eine gewisse Auslenkung. Dabei erhitzt sich das Kolophonium im mikroskopischen Bereich durch Reibung punktuell auf ca. 70 - 90°C und schmilzt. Dadurch verliert es seine Haftkraft und lässt die Saite zurückschnellen. Mit dem Erkalten des Kolophoniums und dem erneuten Haften an der Saite beginnt die nächste Periode. Askenfelt verdeutlichte diesen Ablauf mit hochtemperaturempfindlichen Infrarot-Videoaufnahmen, bei denen an der Kontaktstelle des Bogenhaars eine enorme Temperaturerhöhung sichtbar gemacht wurde. Eine eingehende Analyse des Einflusses der Breite des Haarbezuges auf die klanglichen Eigenschaften des Bogens würde hier jedoch zu weit führen. Je nach Wahl des Schmelzbereiches des Kolophoniums können aber unterschiedliche Klangnuancen erzielt werden.
von Thomas M. Gerbeth